Anwesend sein…

Wir sind, was wir sind und nicht was wir haben…
Das klingt doch erst einmal ungeheuer banal, oder? Was macht Lebensqualität aus?

Angenehme Dinge zu haben, sich einen gewissen Lebensstandard leisten zu können, das sind ja durchaus angenehme Aspekte.

Jedoch… alles das wirkt nur wenig oder eingeschränkt, wenn ich krank, unglücklich oder depressiv bin. Unser Zustand ist sowas wie die Tür zur Welt.Ist der Zustand schlecht, so hängt auch dieser Türrahmen schief…

Das Sein, von dem ich sprechen möchte, ist eine tiefe Verbundenheit, mit dem, was da gerade in der Welt abläuft. Und damit meine ich nicht eine angestrengte Konzentration, sondern eine zutiefst entspannte Anwesenheit.

Das Wort stammt von [griech. ousia, lat. essentia] geht auf den deutschen Mystiker Johann Eckhart (1260–1327), besser bekannt als Meister Eckhart, zurück.
Er leitete es aus dem mittelhochdeutschen „wesen“ ab, was hier so viel bedeutete wie sein, währen, bleiben, anwesen.

Vielleicht geht es Ihnen manchmal wie mir?
Ich bin in Situationen, spreche mit jemandem oder was auch immer und ich bekomme etwas nicht mit… weil ich gerade abgelenkt, in Gedanken oder sonst wo bin.
Ein Teil meiner Aufmerksamkeit war mit etwas anderem beschäftigt. Das Wort abgelenkt trifft es ganz gut… irgendwas hat einen Teil meiner Aufmerksamkeit zu sich gelenkt.

Nun, könnten Sie sagen, das ist doch normal, oder?

Vielleicht… aber z.B. in der Kampfkunst Aikido, im Straßenverkehr oder z.B. im Coaching bemerke ich, wie sich das (enorm) auswirkt. Wenn ich da nicht komplett da bin und meine Aufmerksamkeit gesammelt auf das Geschehen lenke, kann das enorme Folgen haben. Das Schwert trifft mich, ich baue einen Unfall oder bemerke den fast unmerklichen Hinweis im Coaching nicht.

Okay, dann drehe ich die Münze einmal:

Anwesend zu sein, heißt, den größten Teil meiner Wahrnehmung gesammelt auf das, was wirkt, zu richten. Ich erkenne kleinste Details, bin reaktionsschnell, bewegungsverfügbar… quasi im Flow mit dem was ist.

Im Film „The peaceful warrior“ sagt der Meister zum Schüler:
„…und bist du wirklich im Hier und Jetzt, wirst du verblüfft sein, zu was du in der Lage bist und wie gut du es tun kannst…“

Es geht meines erachtens um eine unmittelbare Bezogenheit, die wir als Kinder alle schon mal hatten, die wir aber meist zugunsten von – eher abstrakten – Denkprozessen aufgegeben haben.

Dabei sind alle Funktionen des sogenannten Präfrontalen Kortex (dem „bewussten Gehirn“) langsam und energieraubend. Gleichzeitig können wir uns so eher nur auf wenige Aspekte ausrichten. Das kennen wir alle vom bewussten Lernen…

Metaphysisch bedeutet anwesend sein, dass ich nicht am Ufer stehe und dem (Lebens)Fluss beim Fließen zuschaue, sondern, dass ich mir die Füße (und mehr) nass mache und mich in die Strömung hinbegebe.

Die schlechte Nachricht ist, die meisten Erwachsenen haben das verlernt.

Die gute Nachricht: Da wir es alle schon einmal konnten, bin ich sicher, wir können es zurückgewinnen.

Danke für das Lesen meiner Worte.

Herzlichst
Ihr
Jürgen Weist