Autonomie in der Sturmzone: Warum unser innerer Hafen nicht im Wetterbericht steht?
Was könnten Kernfaktoren (oder Anzeichen) eines gefühlten Autonomieverlusts in heutigen Zeiten sein?
Hier eine subjektive Auswahl als Übersicht:
- Digitale Vorbestimmung: Immer mehr und öfter steuern Algorithmen unsere Entscheidungen (sogenannte „Filterblasen-Diktatur“). Wir fühlen uns immer fremdbestimmter durch personalisierte Manipulation.
- Care-Kollaps: Die oft versteckten unsichtbaren Mental-Load-Lasten gerade in familiären Systemen (77% tragen Frauen) mit der Wirkung: Chronische Selbstaufgabe für den Systemerhalt.
- Klima-Ohnmacht: Wir alle bekommen mit, dass sich da mehr als nur das Wetter verändert. Da gibt es eine globale Bedrohung – gleichzeitig eingeschränkte individuelle Handlungsgrenzen im Alltag.
Eine Auswirkung: „Solastalgie“ (eine Form von psychischem Leid, das durch Umweltveränderungen, insbesondere durch den Klimawandel, verursacht wird). - Beschleunigungsfalle: Arbeitsverdichtung lauert überall… Es wächst eine „Always-on-Kultur“.
Eine Auswirkung: Der Verlust von Zeitsouveränität („Ich reagiere nur noch“).
- Optimierungszwang: Selbstoptimierung als neue Norm (z.B. „Biohacking“ bis Burnout). Du fällst… selbst schuld…Selbstverantwortung als neuer Schlüsselbegriff für so übermäßig vieles.
Eine Wirkung: Die Pathologisierung natürlicher menschlicher Grenzen. - Systemische Entfremdung…. wir sind eingebettet in Welt. Suchen nach Zugehörigkeit und Sicherheit in Netzwerken. Komplexe globale Krisen (Pandemie, Kriege) zerreißen zunehmend Bindungen.
Eine Wirkung davon: Gefühlter Kontrollverlust – Ängste – bis hin zur abwartenden Lähmung. - Ressourcenknappheit: Nicht nur im Hinblick auf Lebensraum und Rohstoffe. Prekäre Themen wie Wohnungsnot/ (Alters)Armut treffen immer mehr Menschen.
Das kann dazu führen, dass der Überlebensmodus statt Selbstentfaltung in den Vordergrund rückt.
Nun… wahre Autonomie ist kein Festhalten an Kontrolle, sondern die Kunst, mit gebrochenen Systemen zu fließen, ohne sich (in ihnen) zu verlieren.
Hier drei Impulse für den Umgang mit den eingangs erwähnten Phänomenen, natürlich bestimmt davon, inwieweit sie für Sie zutreffen:
a) Mikro-Räume der Souveränität schaffen
„Autonomie beginnt im Quadrat des Handelns.“
Tägliche „Mini-Hoheitszone“: 10 Minuten, in denen nur Ihre Regeln gelten (z. B. Handy aus, „Nein“ ohne Begründung). Nutzen Sie Ihren Körper als Aktionsfeld: Signale wie Nackenspannung bewusst als „Protest gegen Systemdruck“ lesen – und z.B. mit einer Pause, Gähnen bzw. Schütteln beantworten.
Mögliche Wirkung: Unterbricht den Reaktionszwang („Always-on“) und trainiert Selbstwirksamkeit.
b) Vom Kontrollwunsch zum Flow-Prinzip
„Nicht die Wellen brechen – sondern Ihren Widerstand gegen sie.“
Versuchen Sie sich in der „Tanz mit dem Sturm“-Haltung: Was ist jetzt gerade beeinflussbar? (Checkfrage: „Kann ich das in 10 Sek ändern?“).
Fortlaufende Energie-Bilanzierung: Für jede Stunde Care-Arbeit/ Mental Load 15 Minuten „autonome Gegenbewegung“ (in die Natur gehen, etwas tun, was Ihnen Freude macht – Musik hören, ein Gedicht lesen usw).
Mögliche Wirkung: Reduziert Systemkollaps-Ängste durch den Fokus auf handhabbare Einflussnahme.
c) Resonanz-Zellen statt einsamer Inseln
„Wir segeln nicht allein – wir navigieren im Konvoi.“
Machen Sie „Lasten sichtbar“: Mental Load im Paar/ in Teams (auf)teilen – nicht als Klage, sondern als systemische Einladung (Wer trägt welchen Stein? – Wer hat welche Kompetenzen? – Wer hat den passenden Energie-State?).
Kollektive Autonomie-Pools: Tauschringe für Ressourcen schaffen (z. B. „1 Stunde Kinderbetreuung = 1 Stunde Gartenhilfe“).
Mögliche Wirkung: Transformiert individuelle Ohnmacht in geteilte Gestaltungsmacht.
Danke für das Lesen meiner Worte.
Herzlichst
Ihr
Jürgen Weist