Die „Delle im Sein"
Die Wurzel dieses Beitrages ist aus einem Gespräch zwischen meiner Frau und mir entstanden. Wir sprachen darüber, wie genau eigentlich das Potenzial von Menschen entsteht und wie Menschen damit umgehen? Es war ein Austausch darüber, dass Probleme und Potenziale oft zwei Seiten einer gleichen Münze sind.
Die Idee dahinter:
Jeder von uns kommt mit einer Art Grundtendenz ins Leben. Ob das vorgeburtliche Erfahrungen, Geburtserfahrungen und/ oder spätere Prägungen sind … wir alle erhalten eine bestimmte (Aus)Richtung, eine Art Drall …manche nennen das auch das Grundthema ihres Lebens.
Die meisten Grundtendenzen haben etwas mit Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit oder der Beziehungsfähigkeit im weitesten Sinn zu tun. Ich, beispielsweise, bekam in einer Supervision den Hinweis, dass mein Grundthema sei, dass ich grundsätzlich Beziehungen als unsicher erfahre. Meine Delle im Sein ist also existentielle Geborgenheit. So weit, so „gutschlecht“, oder? Was genau bedeutet das jetzt übersetzt?
Für mich bedeutet es, die „Delle im Sein“ ist Segen und Fluch zugleich …
Einerseits ist sie die Hauptbaustelle des Lebens. Der Bereich, in dem wir versuchen werden, es gut hinzubekommen, wo wir ringen, ausprobieren, Kompetenzen erwerben … ganz im Sinne der Kompensationsidee von Alfred Adler. Andererseits ist es aber auch die Grundthematik unseres Lebens …
Zurück zu meinem Beispiel:
Als Fachmann für meine Delle habe ich einerseits das Talent andere total gut in ihrer Existenz zu bestätigen. Ich kann extrem gut Potenzial finden und bewusst zugänglich machen usw. Die andere (dunkle) Seite der Münze ist, dass ich ebenso gut Menschen existenziell verunsichern kann. Ich kann ihre inneren Spannungen so erhöhen, dass sie in eine Vereinsamung „fallen“ können.
Die dann auftauchende Frage: Was lässt mich dann eher auf die eine oder die andere Seite „rutschen“? Oder was bewirkt eigentlich, dass ich mal die helle oder mal die dunkle Seite meiner Tendenz auslebe? Für die Welt, andere und mich macht das einen erheblichen Unterschied. Nachvollziehbar?
Meine noch unfertige Antwort darauf: Es beginnt mit dem Bewusstsein … jeder sollte eine Ahnung über seine Tendenz, Grundthematik, seine „Delle im Sein“ haben. Dann erst kann man jederzeit spüren, welche Seite lebe ich gerade (aus)? Wo stehe ich gerade im polaren Spiel der Kräfte? Potenziell ist man ja immer beides …
Zu einem Freund habe ich vor kurzem gesagt: Auf die dunkle Seite zu fallen ist relativ einfach, da brauche ich mich nur einfach gehen zu lassen. Müdigkeit, Stress, Unwohlsein und schwupp … ist es passiert. Mich auf der konstruktiven Seite zu positionieren, ist viel anspruchsvoller. Da darf ich auf mein Energiemanagement schauen, muss für mich sorgen, mich ggf. immer wieder neu dafür entscheiden … mit mir und den Umständen ringen. Aber, vielleicht kennen Sie das ja auch …im übertragenen Sinne… mit Ihrer Grundtendenz des Seins.
Zum Abschluss:
Vielleicht hilft Ihnen dieser kleine Beitrag, Ihr persönliches Grundthema für sich ein wenig klarer zu kriegen. Möglicherweise merken Sie aber auch nur: Mensch, damit bin ich nicht allein. Anderen geht es auch so oder ähnlich. Oder meine Zeilen inspirieren Sie dazu, sich bewusster und kraftvoller auf der konstruktiven Seite Ihres Themas zu positionieren. Wie auch immer – Sie haben die Wahl!
Vielleicht haben Sie Lust, mir zu schreiben? Ihre Meinung, ergänzenden Hinweise und ggf. auch Widersprüche sind gefragt. Am meisten würden mich Ihre persönlichen Erfahrungen interessieren… wenn Sie mir von sich erzählen. Schreiben Sie mir einfach eine Mail. Wenn es mir möglich ist, antworte ich gern auf Ihre Nachricht. Vielen Dank.
Ihr
Jürgen Weist