Identität – eine fortlaufende Geschichte

Identität – von idem facere, bedeutet soviel wie, dem ich mich gleichmache. Schon hier wird deutlich, Identität ist eine Art gedanklicher Schöpfung.

Etwas burschikos formuliert: Eine Geschichte, die sich selbst erzählt und so – fortlaufend erzählt – sich selbst aufrecht erhält.

Überspitzt gesagt:
Wir können nicht wissen, wer wir sind und deshalb kreieren wir dafür eine Form. Eine Art Gedankenspiel. Dabei vergessend, dass diese Form ständig in Bewegung ist.

In der Neurobiologie haben Forscher wie der Amerikaner Charan Ranganath hinsichtlich Gedächtnisleistungen herausgefunden, dass wir uns – abhängig von Zustand und Entwicklung – immer anders erinnern. Jeder Gedanke, jede Erzählung davon, wer ich bin (oder meine zu sein), verändert bereits wieder diesen Inhalt.

Und konventionell definieren wir uns natürlich, erzeugen ein Selbstbild – über Rollen, die wir ausüben, Erfahrungen, die wir gesammelt haben.
Wo wohnen wir, wie steht es um die familiäre Situation, was macht man beruflich?
Was zum Himmel erzählt man von sich z.B. in einer Vorstellungsrunde?

Und ich bleibe dabei, das Wort passt haargenau: indem man sich vorstellt, zelebriert man eine Vorstellung (von sich). Eine Beschreibung, auf die man sich selbst und andere wiederum beziehen können.

Irgendwie scheint es wichtig und bedeutsam, eine Idee davon zu entwickeln, wer man ist.

Worauf möchte ich hinaus?
Identität ist (für uns) nichts Feststehendes, eher ein fluider Prozess, der permanent von vielen Aspekten und Qualitäten beeinflusst wird. Wie ein Fluss, der ständig weiterfließt. Völlig müde bin ich schon (ein klein wenig) jemand anderer, als wenn ich z.B. voller Energie bin.

Und Obacht, dieses „Idem facere“ – dieses „sich Gleichmachen“ – hat natürlich auch eine Wirkung. Meine Beschreibung von mir selbst hat natürlich eine rückkoppelnde Wirkung!

Beschreiben Sie Ihre Identität doch einmal in der Essenz ähnlich, aber mit ganz anderen, ungewohnten Worten… Sie werden über die Wirkung erstaunt sein.

Oder… was passiert, wenn Sie Ihre Vorstellung von sich mit: „Heute, jetzt bin ich (eher, mehr)…“ beginnen? Wenn Sie sozusagen Ihre Identität tagesaktuell (frisch) pflücken…

Das würde dann dem nahekommen, was ich mit „Prozess“ meine.
Das Bewusstsein kann situativ ohnehin nur 5-7 Unterschiede klar benennen.

Kann man Sie wirklich mit 5-7 Unterschieden annähernd beschreiben? Vielleicht ist Identität in seiner Tiefendimension ohnehin nur ein Gefühlskomplex.

Und… um Sie noch ein wenig mehr zu verwirren (oder entwirren), noch interessanter wird es, wenn die Frage: „Wer bin ich?“ wechselt zu „Was bin ich?“.

Ich übe mich oft darin zu behaupten, dass ich nicht wüsste, wer ich bin… das ist auf jeden Fall erfrischend und sorgt meistens für Heiterkeit bei meinen Gegenübern… dabei meine ich es zunehmend ernst.😉

Danke für das Lesen meiner Worte.

Herzlichst
Ihr
Jürgen Weist