Loslassen ist Erfahrung, keine Theorie.

Meine Vorannahme: Wir leben in einer Kultur des Festhaltens bzw. des „Bewirken-wollens“. Wir wollen „haben“ und Erreichtes „behalten“, weil es uns eben Halt bietet. Halt bieten uns dabei Bezugspunkte wie z.B. Finanzen, Versicherungen, Job, die uns „Sicherheit“ vermitteln.

Sicherheit in Bezug auf was?

Meine tiefenphilosophischen Fragen:

  • Wieviel von was sichert eigentlich (nach wessen Aussage) was?
  • Was ist das Konzept, die Vorannahmen dahinter?
  • Und wo kippt das womöglich um?

Es ist für mich ein bisschen, wie in der bekannten Zen-Metapher der übervollen Teetasse. Wir sind so übervoll mit „?“, dass manchmal das, was wir gern in unser Leben brächten, überhaupt keinen „mindplace“ mehr hat.

  • Welcher Mangel entsteht möglicherweise durch „Zuviel“?
  • Was verlieren bzw. verringern wir durch ein übermäßiges Festhalten?

Wenn es darum geht, was man loslassen soll, dann findet man in der Literatur meist:
Dinge, Beziehungen, Erfahrungen (Erwartungen), Vorstellungen, Gewohnheiten, Ziele usw.
Loslassen ist oft synonym zu „loswerden wollen“. Meist geht es um etwas, das uns belastet, Ballast, etwas, dass uns nicht gut tut usw.

Eher seltener geht es um Freiraum, Ablösung, Aufbruch und Befreiung. Aber hier sei am Rande des Themas erwähnt, dass bestimmte Qualitäten, wie Kreativität, Intuition einen bestimmten Freiraum, Leerraum benötigen.

Gleichzeitig ist, psychologisch gesehen, Festhalten möglicherweise ein urmenschlicher Reflex (s. Klammerreflex). Forscher sprechen davon, dass frühe Bindungserfahrungen unseren „Bindungstypus“ prägen. Unsichere Bindungen oder Bedingungen (so die These), erschweren das Loslassen.

Wirkliches Loslassen ist kein Vermeiden, Ausweichen, Wegmachen usw.
Ein Grund für „nicht loslassen können“ könnte sein, dass man das Betreffende (zuvor) nicht zugelassen hat. Sprich das Symptom/ Phänomen nicht (an)erkannt hat. Im Sinne von demütig Raum geben, ohne es möglichst zu beurTEILEN.

Wenngleich wir wissen, wir können nichts „festhalten“ (nicht mal das Leben), gibt es überlebenswichtige Dinge, die man nicht oder nur schlecht loslassen kann. Also vielleicht geht es auch hier um den Mittelweg des rechten Maßes.

Hilfreich zum Loslassen kann die sogenannte Sedona-Methode nach Hale Dowskin sein. Sie besteht aus vier schlichten Fragen, die möglichst spontan beantwortet werden sollten:

  1. Kannst du dieses Gefühl (oder Entsprechendes) in diesem Moment akzeptieren?

  2. Kannst du dieses Gefühl (oder Entsprechendes) jetzt loslassen nur für diesen Moment?

  3. Würdest du dieses Gefühl (oder Entsprechendes) loslassen?

  4. Wann? Wann würdest du das Gefühl (oder Entsprechendes) loslassen?

An dieser Stelle eine vielleicht bekannte Mahnung: Es reicht nicht, dies zu lesen und ihm gedanklich zuzustimmen. Es braucht ein praktisches Erforschen, Ausprobieren und ein (nur) über Erfahrung wachsendes Vertrauen.
Und um den Ausgang eingangs zu benutzen: „Loslassen beginnt mit dem Annehmen … und manchmal ist es so, dass wir erst das wirklich besitzen, was wir loslassen (können)…“.

Herzlichst
Ihr
Jürgen Weist