Vergänglichkeit für Lebendige

Solange man lebt, kann man nur „über“ den Tod sprechen, nicht wahr? Schließlich lebt man ja noch… und genau das beschreibt meine heutige Motivation. Es geht indirekt ums Leben…

Oder differenzierter formuliert:
Um die kleinen Tode, die erst das Leben (im Leben) ermöglichen. Oder die These, dass das Bewusstsein der Endlichkeit oder der Vergänglichkeit uns erst wirklich lebendig macht oder machen könnte, wenn wir nicht so sehr Geisel unserer Angst vor der Vergänglichkeit wären.

Der Philosoph Adorno hat (für mich) zurecht angemerkt, dass ein Bewusstsein, dass den Tod verdrängt, nur ein halbiertes Bewusstsein wäre…

Wir haben gerade zu dem Thema einen Workshop oder besser „Erfahrungsraum“ gegeben.

Interessant war für uns die Eingangsfrage: Inwieweit schaffen wir es, die Menschen mit diesem Thema zu berühren, ohne dass sie uns in der Angst versinken?

Die These dabei: Ohne berührende Erfahrung keine oder nur wenig Änderung in der Haltung…

Der Autor und Körpertherapeut Stanley Keleman schrieb vom „Lebe dein Sterben“.

Die Idee dahinter:
Du wirst sterben, wie du gelebt hast. Wozu könnte das einladen? Möglicherweise ist ja ein (möglichst?) erfülltes Leben nicht nur in sich „wertvoll“, sondern auch noch eine ganz gute Vorbereitung für den Übergang, den wir den Tod nennen.

Strickt man diesen Faden weiter… könnte das Sterben dann gewissermaßen möglicherweise die Vollendung des Lebens sein…?

Ich weiß es natürlich auch nicht und zugleich habe ich bei dem Thema besonders darauf geachtet, was mich wie berührt hat. Was für mich Sinn gemacht hat, mich eher entspannt hat…

Insgesamt, so könnte ich sagen, sind uns drei Themen- oder Fragenkomplexe nahe gegangen. Ich bleibe mal ein wenig abstrakter, das hilft beim “im Abstand bleiben“:

1. Wie gehe ich (individuell) eigentlich als Teil meiner Kultur (kollektiv) mit dem Thema Vergänglichkeit um?
Welche Auswirkungen hat das auf meine Art zu leben und meine Lebensqualität (mein Bewusstsein)?
Welche Vorstellungen habe ich zum Thema? Was ist mein Mythos? (Wie möchte ich sterben – und leben?)

2. Wie geht mein Ich-Bewusstsein mit der Angst vor dem Sterben um?
Wie andere Kulturen?
Was können wir z.B. vom „mono no aware“ der Japaner lernen?
Wieviel Leben sollte ich sinnvollerweise ins Überleben investieren?
Worin bin ich (un)frei – die Idee des Sinnbildes des Sisyphos.

3. Wie kann ich die Vergänglichkeit emotional (mehr) akzeptieren? Kognitiv dazu ja zu sagen ist ja einfach.
Was hilft, diesen Riss, die Wahrheit der Existenz anzunehmen?
Inwieweit hilft mir, die ganz normale Diskontinuität (das kleine Sterben) anzuerkennen?
Oder: warum muss ich das Leben hassen, dass ich nicht sterben will?
Und… wie kann ich Vergänglichkeit zum meinem Freund machen?

Das alles in der Hoffnung, dass ein Anschmiegen ans Thema Vergänglichkeit (andere) Effekte hat. Vielleicht, das mehr Unwesentliches abfällt, mehr Freiheit/ Klarheit entsteht oder die Lebendigkeit (die Sehnsucht nach Sein) zunimmt.

Für uns schwingt auch auf der Innenseite das Thema „Würde“ mit, die Würde des eigenen Lebens deutlich(er) spüren.

Danke für das Lesen meiner Worte.

Herzlichst
Ihr
Jürgen Weist