Warum ist Angst unverzichtbar?

Der Biologe Andreas Weber, einer meiner Lieblingsautoren, stellt folgende These auf:
Nur weil Existenz scheitern kann, transformieren Wesen die Außenwelt in ihre Innenwelt. Dieser Drang zum Fortbestehen, sich zu erhalten, schafft ein (abgetrenntes) Subjekt. Alles, was dem „Überleben“ dienlich ist, erhält vom jeweiligen Organismus eine positive Bedeutung.

Anders gesagt: Wesen, die existieren wollen, entwickeln Bedürfnisse. Die Erfahrung dieser Bedürfnisse und den Grad ihrer Erfüllung nennen wir Gefühl.

Also Gefühle sind quasi ein Rückmeldesystem darüber, wie gut uns von Moment zu Moment „Überleben“ im weitesten gelingt. Wie genial, oder? Diese blitzschnelle, komplexe Rückkopplung (in Kombi mit dem reflektiven Verstand) hat uns als Spezies besonders anpassungsfähig gemacht.

Dies gilt auch für das Gefühl von Angst, für Angst in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen. Archaisch gesehen mobilisieren Ängste z.B. Energien, um unser Dasein „besser“ hinzubekommen oder um uns aus bedrohlichen Situationen zu lösen. Auch als Beziehungsgewissen tauchen Emotionen auf, die uns wissen lassen, was zu den jeweiligen (gefühlt überlebenswichtigen?) Beziehungen passt oder nicht.

Alles in allem ist Ängstlichkeit ein komplexer Themenkreis. Ich möchte heute Ihr Augenmerk auf zwei (für mich bedeutsame) Aspekte lenken:

  1. Ängste sind Überlebensimpulse …Punkt. Sie sind so wichtig, dass Menschen, die keine Ängste mehr empfinden können, nicht wirklich überlebensfähig sind. Meine Bitte: Machen Sie sich klar, ich brauche meine Ängste! Sie sind ein hochsensibles, über Jahrtausende entstandenes Rückkopplungssystem (s.o.). Eine Art Informationsebene oder ein gefühlvoller Ratgeber …

  2. Wer Angst als unangenehm, nervig oder sonst was erlebt, der sollte unbedingt seine Perspektive in Richtung a) ändern! Und der sollte sein „Ich“, seine reflektive Hirnrinde darin üben, die Sprache der Angst in angemessene konkrete, ja konstruktive Handlung zu übersetzen. Die Grundabsicht von Angst ist, uns zu helfen, uns über Bedrohungen zu informieren. Vielleicht beginnt es damit, sie als Teil einer emotionalen Intelligenz zu verstehen, als Lernhinweis oder wie im heutigen Poem, als Handlungsimpuls.

Ich bin mir klar, dass ich heute ein wenig zur Darstellung vereinfache. Aber …und ich möchte Ihnen Mut zur Angst machen.

Manche ihrer wirklich negativen Wirkungen (z.B. Immobilität oder Einschränkungen) verringern sich, wenn man sich seiner Angst zuwendet. Angst gehört zum Menschsein … Ich erlebe oft Menschen, die gerne angstfrei sein möchten. Ich kann das nachempfinden, aber gleichzeitig ist das ziemlich „verrückt“. Ich könnte genauso gut sagen, ich möchte nichts mehr fühlen … nichts mehr hören oder sehen usw.

Üben Sie sich im (heimlichen) „Ja“ zur Angst. Sie gehört zu uns, wie die vorüberziehenden Wolken am Himmel.

Herzlichst


Ihr
Jürgen Weist