Wie mit (viel) Veränderung umgehen?

Mögest du in interessanten Zeiten leben, so lautet ein chinesischer Fluch (der vielleicht auch ein Segen sein könnte). Die Ereignisse wandeln und überschlagen sich ja fast täglich. Einzelne, Gesellschaften und die Welt versuchen mit etwas Neuem (dem Corona-Virus) umzugehen.

Betrachten wir Ereignisse, so sind die meisten Menschen nur selten in der Lage, Veränderungen in ihrer komplexen Vielschichtigkeit (an)zuerkennen und aus dieser differenzierten Bezogenheit angemessene Entscheidungen zu treffen. Die derzeitige Situation könnte man beispielsweise auf vier Ebenen betrachten:

  1. Körperlich oder emotional (wie reagieren Menschen körperlich/ emotional auf was?),

  2. psychisch (wie wird was verstanden oder mit Bedeutung belegt?),

  3. die interaktionelle Ebene (welche Handlungen erfolgen in welcher Qualität?) und

  4. die kulturelle Ebene (welche Geschichte wird erzählt, welche Symbole werden genutzt und welche Vereinbarungen getroffen? Welcher Zeitgeist wird entwickelt?)


Jede dieser Ebenen hat ihre ganz eigene Logik und Stofflichkeit. Besonders interessant … und deswegen heben wir es hervor, sind die sogenannten Strukturkopplungen …also die tatsächlich gelebten Antworten auf die Frage: Wie wirken die Ebenen wechselwirkend auf- und miteinander? Wir meinen, die derzeitige Situation ist dafür ein absolutes „Parade-Beispiel“.

Beispiel ist ein gutes Stichwort. Beispiele für die Ebenen wären bzw. sind:


Ebene 1: Wie wirkt sich z.B. ein Lockdown auf Gesundheit aus? Die Ansteckungsgefahr sinkt und gleichzeitig nehme ich wegen weniger Bewegung zu. Emotional reagiere ich auf die Situation entspannter und gleichzeitig wächst der Wunsch nach Rauskommen und Freunde besuchen. Welche Sehnsüchte, Bedürfnisse entstehen? Wie wäre Ihre Beschreibung?


Ebene 2:
Ich verstehe die Maßnahmen, finde einen Teil sogar gut und andererseits finde ich das unterschiedliche Maß, mit dem gemessen wird, manchmal problematisch. Ich merke, dass viele Menschen auf Ebene 1 ängstlich sind, verstehe dies und kann deswegen angemessener damit umgehen. Hier spielen auch Konzepte und Überzeugungen eine Rolle. Wie interpretieren Sie die derzeitige Situation?

 

Ebene 3: Auf dieser Ebene merke ich schlicht, dass sich Kontakte verringern (sollen sie ja auch). Rückzug ist angesagt. Und auch die Qualitäten von Begegnungen ändert sich. Die Grundstimmung im Umgang miteinander hat sich verändert. Welche (veränderten) Muster werden gezeigt? Wie wäre Ihre Beschreibung dazu?

Ebene 4: Wie werden im Moment Maßnahmen getroffen und vor allen Dingen begründet? Welche Werte sind vorrangig? Geht es um Gesundheit oder Wirtschaft? Welche Metaphern, Geschichten und Symbole werden wie benutzt (… da müssen wir jetzt durch, wir schaffen das … – wer ist dann wir?)? Hier spielen soziale Dinge eine Rolle, gesellschaftliche Werte und Haltungen. Wie ist auf dieser Ebene Ihr Erleben?

Aber wozu vier Betrachtungswinkel oder Perspektiven? Weil z.B. Emotionen einer anderen Logik folgen wie gedankliche Konzepte oder Handlungen etwas anders sind als der gesellschaftliche Rahmen. Weil jede(r) von uns irgendwie diese Ebenen kennt, lebt und unter den Hut bringen darf. Und genau da (an den Schnittstellen) wird es besonders interessant. Wie wirkt die eine Ebene mit ihrer Logik auf die andere oder alle wechselweise aufeinander?

Beispiel: Ich bin im Homeoffice, kann also etwas länger schlafen, allerdings habe ich kein separates Büro zu Hause und die geliebten Kinder, so sehr ich sie verstehe, nerven manchmal. Aus dem Frühjahr weiß ich, wenn jetzt auch die Kita und Schule wegfiele, dann wird die Atmosphäre gereizter. Ich versuche so gut ich kann, das zu berücksichtigen, und den anderen wohlwollend zu begegnen und auch ihre Bedürfnisse zu würdigen, wenn ich diese auch nicht immer (sofort) erfüllen kann. Die Kraft dazu (Homeoffice sei Dank) verschaffe ich mir durch Pausen und Powernaps. Ich versuche mir eine konstruktive Haltung zu bewahren und versuche immer wieder klar zu bekommen, worauf kann ich konkret einwirken und was gilt es entspannt hinzunehmen? Das hilft mir, gelassen zu bleiben …

Fazit: Es ist schon ein ziemlicher Gewinn, wenn man die Ebenen flexibel einnehmen und wieder wechseln kann… sie nicht gegeneinander ausspielt. Die Profi-Liga wäre: Wie kann ich die Wechselwirkungen der Ebenen so zueinander in ergänzende Beziehung setzen, dass weniger Konflikte entstehen und über ein Nebeneinander sogar ein Miteinander (wie im Beispiel) entstehen könnte? Und wie kann ich wahrnehmen, aus welcher Ebene jemand (re)agiert? Könnte ich dann die anderen Eben auch noch mit ins Spiel bringen? Das erweitert enorm …
Und achten Sie bitte auf sich …zu viel Stress färbt das System und seine Möglichkeiten ein …jedenfalls bei mir.

Dann so viel Vergnügen wie möglich und heiteres Scheitern, denn beides hat mit Lernen zu tun …

Herzlichst

Ihr
Jürgen Weist